Digitalisierung

Die Chancen und Perspektiven für Genossenschaften

  • Das Thema Digitalisierung ist in Bezug auf Genossenschaften eine noch wenig erforschte Problemstellung, aber zugleich von hoher Relevanz für die Zukunft. Zentrale Fragen sind: Welche digitalisierungsrelevanten Besonderheiten weist die Genossenschaft auf? Und welche Chancen lassen sich daraus ableiten?

    Ausgehend von den spezifischen Merkmalen der Genossenschaft, den Schlüsselbereichen der Digitalisierung und den daraus entstehenden technologischen Möglichkeiten soll hier aufgezeigt werden, welche Technologiechancen sich in den einzelnen Bereichen ergeben.

    Mehrdimensionale Werte- und Nutzenschaffung

    Genossenschaften sind aufgrund des zur Aktiengesellschaft unterschiedlichen Unternehmenszwecks darauf ausgerichtet, verschiedenen Interessengruppen zu dienen. Bei Genossenschaften geht es darum, multiple Stakeholder-Interessen statt nur einseitige Shareholder-Interessen zu befriedigen. Sie sind zudem personen- und nicht kapitalorientiert, stellen also die Person in den Mittelpunkt. Die Kontrolle über Strategie und Profitverteilung wird von den Mitgliedern getragen.

    Von großer Bedeutung ist daher die Mitarbeit von Nutzern und Mitgliedern in der Wertschöpfung. Mit der Digitalisierung wird die Co-Creation gefördert, welche eine aktive Mitarbeit bei der Entwicklung von Produkten ermöglicht. Technologisch eignen sich für die Kommunikation und Abstimmung der Interessen Stakeholder-Portale, spezielle Community- und Event-Plattformen, Social Media, zielgruppenorientierte Websites und Blogs sowie E-Polls.

    Nachhaltige Finanzen

    Eine risikoaverse, auf die Mitglieder und nicht die Investoren ausgerichtete Geschäftspolitik sorgt bei Genossenschaften für nachhaltige Finanzen. Das bedingt aber einen hohen Informationsgrad und Transparenz für die Mitglieder. Social-Media- und Webplattformen sowie Datenbanken können dazu beitragen, diese Transparenz zu schaffen und Reports bereitzustellen. Die Verwendung von Big Data, generiert durch operative Tätigkeiten (etwa Produktion oder Marketing) und kundengenierte Transaktionen (wie Kundendaten oder Produktrückmeldungen), kann zu einem wichtigen Wettbewerbsvorteil führen.

    Transparenz kann für gewisse Förderziele und -gruppen mittels Mitgliederportalen, die gezielt Informationen für Investoren und investierende Mitglieder oder Kontrollen der Mitglieder zur Verfügung stellen, herbeigeführt werden. Erträge können zudem in Investorenportale oder Crowdfunding-Plattformen investiert werden, um die Innovations- und Wettbewerbskraft zu stärken.

    Demokratische Prozesse

    Die demokratische Entscheidungsfindung gehört zu den ältesten Grundsätzen bei Genossenschaften. Dieser Prozess ist mit traditionellen Medien wie Briefen, Einladungen oder Versammlungen zeit- und kostenintensiv. Digitale Hilfsmittel beschleunigen die Entscheidungsfindung und Kommunikation. Über digitale Gemeinschaften können Mitglieder effizienter angesprochen, informiert, aktiviert und eingebunden werden. Die Möglichkeiten beinhalten virtuelle Versammlungen, Initiativen und Petitionen, digitale Mitwirkung (etwa durch Blogs und Social Media), Online-Abstimmungen und -Wahlen.

    Auch bei der Mitgliederbindung können kostengünstige Plattformen für Events und Ausbildung verwendet werden. Social Media erlauben dabei nicht nur eine unidirektionale, sondern eine bidirektionale Kommunikation von der Verwaltung zu den Mitgliedern und zurück. Heutige Delegiertenversammlungen ohne Technologien leiden darunter, dass der Wille des einzelnen Mitglieds zu wenig zur Sprache kommen kann und die Kommunikation unidirektional ist - in der Regel vom Vorstand zum Mitglied.

    Lokale Verankerung

    Die lokale Verankerung ist eine traditionelle Stärke der Genossenschaft, die durch dezentrale Filialen auch in kleinen Orten sowie lokale Beziehungsnetzwerke mit großer Kundennähe geprägt ist. Die Realisierung der lokalen Nähe stellt für die Digitalisierung eine große Herausforderung dar: Mit gezielter Kundenkommunikation und Angeboten, die den Schritt von der Offline- in die Onlinewelt ermöglichen, kann eine digitale lokale Nähe erzeugt werden. Wenn früher mit Nähe in der Bankenwelt gemeint war, dass der Bauer in seinem Wohnzimmer ein Bankgeschäft erledigen konnte, heißt dies heute, dass der Bankberater bei jedem digitalen Schritt rund um die Uhr auf verschiedenen Kanälen erreichbar sein muss.

    Wenn die physische, lokale Nähe durch eine digitale lokale Nähe ersetzt oder ergänzt wird, können mit den Technologien wie intelligenten Plattformen und Social Media aber auch neue Potenziale erschlossen werden. Es entstehen dabei neue Kommunikationsansätze, die es so vorher nicht gegeben hat. Zudem können (lokale) Online-Gemeinschaften gegründet werden - etwa für Projekte oder Sharing-Plattformen -, die den Austausch zwischen den Mitgliedern und mit der Verwaltung fördern.

    Überregionale Vernetzung

    Im Gegensatz zur lokalen Verankerung ist die überregionale Vernetzung auf Absatz- und Beschaffungsmärkten bei Genossenschaften noch wenig ausgeprägt. Es bestehen kaum Beschaffungsstrukturen im Ausland, und nur vereinzelt werden Beschaffungsorganisationen oder Firmen mit eigenständigem Profil im Ausland betrieben. Vor dem Hintergrund einer zunehmend global agierenden Konkurrenz und den damit erzielbaren Vorteilen (günstigere Beschaffungspreise, günstigere Lohnstrukturen im Ausland, Portfolio-Diversifizierung) scheinen die Genossenschaften hier einen Wettbewerbsnachteil und somit Nachholbedarf zu haben.

    Gerade im überregionalen und internationalen Bereich bestehen vielfältige Chancen im digitalen Bereich. Netzwerke mit gemeinsamen Interessen erleben vielfach eine rasche Adoption von neuen Technologien: E-Sourcing über Internetplattformen, virtuelle Genossenschaften, Administrations- und Logistikplattformen für das Verbandsmanagement, Verkauf über und Bundling von Produkt- und Serviceangeboten im Web ermöglichen einen Skaleneffekt sowie eine gesteigerte Reichweite im Verkauf.

    Realwirtschaftliches Primat

    In der Genossenschaft kommen die wirtschaftlichen Aktivitäten direkt aus der Wertschöpfungskette den Anspruchsgruppen (Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Mitglieder) zugute. So kann eine Genossenschaft Milcherzeugung und Direktvermarktung als Geschäftsfeld führen, anstelle von Milch als Rohstoff, der auf Terminbörsen mit Milchderivaten gehandelt wird. Genossenschaften sind daher auf realwirtschaftliche Wertgenerierung ohne Umweg über den Kapitalmarkt ausgerichtet, die Mitglieder sind also direkt in die Wertschöpfungskette integriert.

    Hier bietet E-Commerce zentrale Vorteile, um die Partnerschaft zwischen Hersteller und Mitglied/Konsument zu optimieren, um flexiblere Preisoptionen und personalisierte Dienstleistungen anzubieten sowie Zeit- und Kostenoptimierungen zu erzielen. Mit der Digitalisierung werden neue Zugänge für Käufer, Lieferanten und Mitbewerber geschaffen. Entsprechend ist es zentral, Schnittstellen zu vereinfachen und die Effizienz der Wertschöpfung zu erhöhen. Da alle Marktteilnehmer miteinander verbunden sind, sollten zudem Kooperationen gesucht und gemeinsame digitale Projekte initiiert werden.

    Innovationsfähigkeit

    Aus Sicht der Bevölkerung werden Genossenschaften häufig nicht als innovationsfreudig erlebt. Vereinzelt wird sogar darauf hingewiesen, dass die genossenschaftliche Governance innovationshemmend sei, da sie auf Mitgliederinteressen, nicht aber auf Innovationsförderung und Behauptung im Wettbewerb fokussiere. Andererseits beinhalten Genossenschaften durch das Prinzip der Selbsthilfe, die Aktivierung von Mitgliederleistung und die besondere Nähe zu den Mitgliedern erhebliches Gründungs- und Innovationspotenzial.

    Online-Communitys erlauben die Zusammenarbeit von Mitgliedern und können Quelle für Innovationen sein. Die zentralen Treiber sind die gemeinsam erarbeiteten Resultate, Fairness und das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Das Ziel von virtuellen Gemeinschaften und E-Collaboration ist, ein Klima zu schaffen, das diese Innovationskraft aktiviert. Die dadurch entstehenden Interaktionen schaffen einen direkten Mehrwert für das Unternehmen. Dies kann etwa eine Unterstützung des Vorschlagswesens mit einfacher Ideengenerierung beinhalten oder die Ideenbewertung und den Test von Innovationen. Mittels E-Poll können Mitglieder und Kunden über Produkte befragt werden. Das erlaubt Genossenschaften, schneller Ideen in frühen Phasen zu identifizieren und zu testen.

    Über diesen Beitrag
    Der Text ist ein Auszug eines Beitrags, der ursprünglich in der „Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen“ (ZfgG Vol. 67, Heft 3, S. 133-160) erschienen ist. Die Redaktion dankt dem Verlag De Gruyter für die Genehmigung der Veröffentlichung. Die Zeitschrift kann unter www.zfgg.de bezogen werden.

    Über die Autoren
    Marc K. Peter leitet das Zentrum für Digitale Transformation und Marketing an der FHNW Hochschule für Wirtschaft in Olten.
    Alexander Jungmeister ist Geschäftsführer des Instituts für Unternehmensrecht an der Universität Luzern und Studienleiter Strategie und Digitale Transformation an der Berner Fachhochschule.