Mehrwert schaffen

Der MemberValue und sein Management

  • Dass es die Aufgabe von Genossenschaften ist, für ihre Mitglieder wirtschaftliche und andere Werte zu schaffen, ist bekannt. Doch in der Praxis bleibt eine gute MemberValue-Strategie eine immerwährende Herausforderung. Was unter MemberValue konkret zu verstehen ist, weshalb die richtige Strategie erfolgsentscheidend ist und was beim Aufbau eines MemberValue-Managements zu berücksichtigen ist.

    Den Kern der genossenschaftlichen Governance bildet ihre besondere Eigentümerstruktur und die damit verbundene Eigentümerkontrolle, verbunden mit der Tatsache, dass die Eigentümer und Entscheidungsträger gleichzeitig die Nutzer der gemeinsam organisierten Leistungen sind. Aus diesen speziellen Zusammenhängen muss die strategische Orientierung von genossenschaftlichen Kooperationen abgeleitet werden.

    Der genossenschaftliche MemberValue ist ein präziser Indikator für die die meist als unbestimmt und oft beliebig wahrgenommene Mitgliederförderung. Dies erfordert allerdings, ihn zu konkretisieren und ihn direkt in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Zusätzlich ist ein MemberValue-Management aufzubauen, um eine umfassende und konsistente Steuerung der Genossenschaft zu ermöglichen.

    Grundsätzlich handelt es sich beim MemberValue um den Eigentümerwert einer Genossenschaft, der also den Wert der wirtschaftlichen Aktivitäten der Genossenschaft für die Mitglieder zum Ausdruck bringt. Dieser Wert fließt den Mitgliedern über mehrere Wege zu. Dabei stehen die Teilwerte wie kommunizierende Gefäße in einem engen Zusammenhang miteinander: Was die Mitglieder gemeinsam erwirtschaften, kann nur einmal verteilt bzw. verwendet werden. Die Werte, die heute an die Mitglieder gehen, etwa über konkrete Leistungen oder die Ausschüttung von Dividenden, stehen in Zukunft zur Finanzierung von Investitionen nicht mehr zur Verfügung.

    Besonderheiten der MemberValue-Orientierung

    Sowohl der MemberValue als auch der Shareholder Value sind Eigentümerwerte. Die Vorteile einer genossenschaftlichen MemberValue-Orientierung können genutzt werden, ohne mit den Nachteilen einer kurzfristig ausgerichteten Shareholder-Value-Strategie belastet zu werden. Eine solche maximiert den Wert des Unternehmens durch die Leistungstransaktionen mit den Kunden für die Eigentümer, die sich häufig als Investoren verstehen.

    Die MemberValue-Orientierung weicht davon markant ab: Der Wert der Genossenschaft wird durch die Leistungstransaktionen mit den Mitgliedern für die Mitglieder maximiert. Daraus ergeben sich zahlreiche Konsequenzen. Die wichtigsten sind, dass eine realwirtschaftliche Orientierung von Transaktionen erfolgt, während die Finanzmarktentwicklungen mangels Investoren nicht in die Genossenschaft getragen werden können. Zusätzlich wird eine langfristig ausgerichtete Unternehmensstrategie naheliegend und ist inhärenter Bestandteil einer MemberValue-Strategie.

    Die Elemente des MemberValue

    • Am unmittelbarsten sind die Leistungen, die die Genossenschaft für ihre Mitglieder organisiert und deren Inhalt und Vielfalt von den einzelnen Genossenschaften abhängen. Hier geht es um die Unterstützung der Mitglieder bei ihrer eigenen Wertschöpfung.
    • Der unmittelbare MemberValue entspricht der Leistungsbeziehung zwischen Genossenschaft und ihren Mitgliedern, während der mittelbare MemberValue die Eigentümerbeziehung abbildet. Er bringt nicht nur die Verzinsung des von den Mitgliedern eingesetzten Kapitals zum Ausdruck, sondern daneben die Mitwirkungs-, Mitentscheidungs-, Beratungs- und Kontrollrechte.
    • Die Investitionsbeziehung liegt dem nachhaltigen MemberValue zugrunde. Er bringt zum Ausdruck, ob und wie die Genossenschaft auch in der Zukunft noch in der Lage ist, Werte für ihre Mitglieder zu schaffen. Diese gründen vor allem auf Investitionen in Organisationen, Prozesse und Produkte. Im Blickpunkt steht hier der langfristige Bestand der Genossenschaft durch Anpassungs- und Innovationsfähigkeit.

    Voraussetzungen für die richtige Strategie

    Eine konsequente MemberValue-Strategie zu verfolgen, setzt bewusste Weichenstellungen der Genossenschaft voraus. So muss zuerst einmal eine klare Bestandsaufnahme der eigenen Positionierung und ihrer Perspektiven erfolgen. Eine solche hat die Marktposition, die Mitgliederstruktur, die Wertschöpfungsstrukturen und die Infrastrukturen zu beinhalten. Man muss sich also über die Position seiner Genossenschaft im Wettbewerb und als Unternehmen Klarheit verschaffen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass diese Informationen ohnehin vorhanden sind.

    • Marktposition: Bei der Marktpositionierung sind der Marktanteil und vorhandene Marktsegmentierungen zu klären, aber auch, welche Positionierungsstrategie verfolgt wird (Preisführer, Qualitätsführer, Mitgliederorientierung, …) und welche Bedeutung die einzelnen Elemente des MemberValue für die verwirklichte Marktposition aufweisen.
    • Mitgliederstruktur: Seine Mitgliederstruktur zu kennen, ist unabdingbar, hat sich in der Praxis aber als nicht selbstverständlich herausgestellt. Es geht hierbei nicht nur um die Anzahl, sondern um viel mehr. Wie stellt sich das Verhältnis von großen zu kleinen Mitgliedern dar? Und wie ist die Zusammensetzung hinsichtlich demografischer Merkmale? Wie sehen die Partizipationsraten der Mitglieder aus, wie ihre Umsätze mit der Genossenschaft?
    • Wertschöpfungsstruktur: Ebenso wichtig ist es, über seine Wertschöpfungsstruktur gute Kenntnisse zu haben. Zu klären ist, wie die gemeinsame Wertschöpfungskette aussieht und welche Aufgaben von der Genossenschaft und welche von den Mitgliedern wahrgenommen werden. Hieran muss die Frage anschließen, ob entlang der Wertschöpfungskette zusätzliche Werte für die Mitglieder geschaffen werden können. Es kommt jedoch nicht nur auf die Leistungsbeziehungen zwischen Mitgliedern und Genossenschaft an, sondern auch darauf, wie die Informationsströme integriert werden können und welche Kommunikationskanäle genutzt werden. Dies sind Beziehungen, die nicht in allen Genossenschaften konfliktfrei sind.
    • Infrastrukturen: Der Aufbau von MemberValue-Strategien setzt zusätzlich die Existenz oder bewusste Schaffung von Infrastrukturen in der Genossenschaft voraus. Dies sind erstens „mentale“ Strukturen, die auch in Genossenschaften nicht immer selbstverständlich sind: Werden die Mitgliedschaft und ihre Konsequenzen überhaupt kommuniziert, wird über Aufgaben und Pflichten der Mitglieder informiert, und werden den Mitgliedern mehr als nur Leistungen angeboten, die für sie einen unmittelbaren MemberValue schaffen? Zweitens geht es um IT-Infrastrukturen und die Bestandsaufnahme, wie die Mitglieder diesbezüglich in ihre Genossenschaft integriert sind und wie komplex die Schnittstellen sind. Drittens sind die Personalinfrastrukturen zu klären. Ist die Bedeutung der Mitgliederorientierung auch bei Mitarbeitern und Vorstand verankert, wird sie gelebt, oder steht sie vor allem auf der Homepage und im Geschäftsbericht?

    Das MemberValue-Management

    Erst wenn diese Voraussetzungen geschaffen sind, lässt sich eine konsequente MemberValue-Strategie entwickeln und dann auch umsetzen. Dafür ist ein umfassendes MemberValue-Management erforderlich, für das Strukturen aufzubauen und idealerweise mit IT-Tools zu versehen sind. Ein MemberValue-Management hat immer bei den Wünschen der Mitglieder anzusetzen, muss diese erheben und in konkrete Leistungen übersetzen, um dann als Genossenschaft bei den Mitgliedern die gewünschten Werte zu schaffen. Diese haben an die Mitglieder auch berichtet zu werden.

    Der Managementprozess ist schließlich durch ein MemberValue-Controlling zu ergänzen. Dieses soll sicherstellen, dass eine Verringerung des MemberValues, aus welchen Gründen auch immer, oder eine Veränderung der Mitgliederwünsche adäquate Reaktionen der Genossenschaft ermöglicht.

    Erhebung der Mitgliederwünsche

    Am Beginn der Entwicklung jeder MemberValue-Strategie hat eine Erhebung der Mitgliederwünsche und -bedürfnisse zu stehen. Nur auf diese Weise kann die Legitimität der Aktivitäten der Genossenschaft sichergestellt werden. In der Praxis erfolgt dies meist über Befragungen. Eine solche will gut vorbereitet sein. Soll eine Vollerhebung oder eine repräsentative Auswahl erfolgen? Bei dieser Entscheidung sollte die Mitgliederstruktur beachtet werden. Soll die Befragung online oder auf Papier erfolgen, sollen soziale Medien dafür genutzt werden oder die physische Präsenz in Workshops? Führt die Genossenschaft die Mitgliederbefragung selbst durch, oder wendet sie sich an eine Agentur? Und wie weit ist diese in der Lage, auf die Besonderheiten der Genossenschaft einzugehen?

    Eine weitere Festlegung ist erforderlich: Sollen die Mitglieder einmalig oder in bestimmten Zeitintervallen befragt werden? Idealerweise findet eine kontinuierliche Befragung statt, die in das MemberValue-Controlling integriert ist. Sich für diese Kommunikation mit den Mitgliedern zu entscheiden, erfordert nicht nur, mit Kritik umgehen zu können. Zusätzlich muss die Bereitschaft gegeben sein, Kritik und Wünsche als wertvolle Information für ein erfolgreiches MemberValue-Management zu verstehen.

    Erstellung einer Prioritätenmatrix

    In einem nächsten Schritt geht es um die Konkretisierung der Zusammenhänge zwischen den Wünschen der Mitglieder, konkreten Leistungen und den MemberValue-Elementen. Auf dieser Grundlage müssen im zweiten Schritt die Verbindungen zwischen den einzelnen MemberValue-Elementen und dem MemberValue insgesamt abgeleitet werden. Schließlich gilt es, konkrete Maßnahmen zur Schaffung des MemberValue zu entwickeln.

    Um die Zusammenhänge zwischen Mitgliederwünschen und MemberValue offenzulegen, können unterschiedlich komplizierte Verfahren angewendet werden. Im einfachsten Fall können die Mitglieder aufgefordert werden, verschiedene Leistungen zu reihen oder mit Punkten zu bewerten. Alternativ kann erfragt werden, auf welche Leistungen verzichtet wird, um andere zu erlangen. Ebenso kann zur Bereitschaft nach der Beteiligung an Entwicklungs- oder Investitionskosten gefragt werden. Durch anspruchsvollere ökonometrische Methoden können die gewünschten Leistungen mit der Information gekoppelt werden, welche Leistungen den größten Beitrag zum MemberValue erbringen.

    Viele der empirischen MemberValue-Studien in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen weisen das Ergebnis auf, dass Leistungen der Genossenschaft, die den unmittelbaren MemberValue erhöhen, höher geschätzt werden als jene, die zum nachhaltigen MemberValue beitragen. An letzter Stelle rangiert meist der mittelbare MemberValue. Auf dieser Grundlage kann eine Prioritätenmatrix für Maßnahmen der Genossenschaft, für das Leistungsangebot sowie für die Entwicklung der Genossenschaft abgeleitet werden.

    Reporting und Controlling

    Die eigentliche Umsetzung setzt dann an der Wertschöpfung der Genossenschaft an, welche die Wünsche und Erwartungen der Mitglieder mit den Leistungen der Genossenschaft verbindet. Sehr wichtig ist ein begleitendes MemberValue-Reporting, das die Mitglieder über die geschaffenen Werte informiert. Ein solches sollte mitgliedergruppenspezifisch sein.

    Das MemberValue-Controlling prüft den geschaffenen MemberValue und ob dieser den Mitgliederwünschen entspricht. Ist dies nicht der Fall oder haben sich die Präferenzen verändert, ist festzustellen, an welcher Stelle nachzubessern ist. Dies kann das Angebot der konkreten Leistungen sein oder deren Produktion, was dann oft Prozesse und Kosten betrifft. Es kann aber auch sein, dass die Kommunikation verbessert werden muss, weil der Wertbeitrag der Genossenschaft zu den wirtschaftlichen Ergebnissen von Mitgliedern falsch eingeschätzt wird oder die Verfügbarkeit von Alternativen außerhalb der Genossenschaft überschätzt wird. Beide Wahrnehmungen sind in der Praxis nicht selten.

    Vorteile eines MemberValue-Managements

    Zusammenfassend ermöglichen die Mitgliederorientierung und ihre konsequente Einbindung in ein gutes MemberValue-Management für eine Genossenschaft zahlreiche Vorteile: Sie schaffen Legitimität für das genossenschaftliche Handeln. Zusätzlich ist hervorzuheben, dass für Genossenschaften auf diese Weise ein Gesamtkonzept möglich wird, das zu einer weiteren Professionalisierung beiträgt. Wichtig ist ebenso, dass ein MemberValue-Management die Performancemessung der genossenschaftlichen Leistungen beinhaltet und dass die Transparenz innerhalb der Genossenschaft deutlich zunimmt.

    Im Wettbewerb mit anderen Unternehmen wird eine klare Profilierung möglich, die das genossenschaftliche Alleinstellungsmerkmal unmissverständlich nach außen signalisiert. Schließlich können aus dem MemberValue-Management wichtige Information für die genossenschaftliche Pflichtprüfung gewonnen werden.

    Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die genossenschaftliche Mitgliederorientierung zwar allenthalben betont wird. Dennoch erfolgt ihre Umsetzung im Tagesgeschäft häufig punktuell und wenig konsequent. Ein konsequentes MemberValue-Management kann hier deutliche Verbesserungen schaffen. Allerdings sind dafür adäquate Voraussetzungen zu schaffen.

    Theresia Theurl