Jubiläumsevent

"Zukunftstag Genossenschaft": Bühne frei für kooperatives Wirtschaften

  • Es war ein erster Höhepunkt im Rahmen der 150-Jahr-Feier des ÖGV: Gemeinsam mit den Volksbanken hat der Verband am 9. Juni zum „Zukunftstag Genossenschaft“ ins Wiener Museumsquartier geladen. Hochkarätige Speaker und Diskussionsrunden rückten dabei das Erfolgsmodell des kooperativen Wirtschaftens ins Rampenlicht.

  • Nach einer gemeinsamen Begrüßung der rund 200 Gäste durch Peter Haubner, Vorstandsvorsitzender des ÖGV, und Gerald Fleischmann, Generaldirektor der Volksbank Wien, führte Puls-4-Infochefin Corinna Milborn durch den Tag, der für die Volksbanken zugleich Teil ihrer jährlichen Managementkonferenz-Reihe war. Dass die Genossenschaft und das kooperative Wirtschaften nicht nur eine historische Erfolgsstory sind, sondern auch großes Potenzial für die künftigen Herausforderungen bieten, wurde dabei von Experten und Praktikern gleichermaßen bestätigt.

  • Kooperation als ökonomische Erfolgsformel Einer, der es wissen muss, ist Bestsellerautor Marc Elsberg: In seinem Roman „Gier“ dreht sich alles um Kooperation als ökonomische Erfolgsformel. Anhand eines simplen Modells – abzurufen unter www.farmersfable.org – rechnet er vor, dass kooperatives Handeln und Teilen langfristig immer zu mehr Wachstum, geringerem Risiko und auch einer Abmilderung von Krisen führen. Elsberg, der für sein Buch akribisch recherchiert hat, sprach beim „Zukunftstag Genossenschaft“ von einem „Kooperationsplus“.

  • „Eins plus eins ergibt in diesem Fall drei“, so Elsberg in der anschließenden Diskussion, die von Barbara Battisti, Leiterin der ZiB-Wirtschaftsredaktion im ORF, moderiert wurde. Die Genossenschaft sieht er als „erprobte und eingespielte Organisationsform für Kooperation“, die seit mehr als 150 Jahren funktioniere. Dass Kooperation in der Wirtschaft dem reinen Egoismus überlegen sein kann, räumte auch Lukas Sustala, Direktor des liberalen NEOS Lab, ein. Wichtig sei allerdings, dass Vertrauen unter den Akteuren herrsche, hier seien Transparenz und Mitbestimmung wesentlich. Auch Start-ups arbeiten zusammen Auch bei Start-ups sei Zusammenarbeit eine Voraussetzung für den Erfolg, selbst wenn das nicht immer auf den ersten Blick offensichtlich sei, erklärte Selma Prodanovic. Sie hat mit ihren Initiativen die Start-up- und Business-Angel-Szene in Österreich und Europa maßgebend mitgestaltet und weiß, wovon sie spricht: „Sich gegenseitig helfen, voneinander lernen und gemeinsam finanzieren – all das ist in der Start-up-Community gelebte Praxis.“ Oliver Picek, Chefökonom des Momentum-Instituts, lieferte weitere gute Argumente für genossenschaftliche Kooperation: „In der Genossenschaft kommen Gewinne nicht nur einigen wenigen, sondern allen Mitgliedern zugute. Sie schützt vor feindlichen Übernahmen und wird nicht von den Interessen einzelner Investoren geleitet.“ Die Genossenschaft sieht er als Modell, das Effizienz und Solidarität gekonnt verbindet. In einem Gedankenspiel zeigte er, dass das auch in der aktuellen Energiekrise eine Lösung sein könnte: „Wäre der Verbund, Österreichs größter Energieversorger, als Genossenschaft im Eigentum der Konsumenten organisiert, dann könnte er jetzt auf einen Teil des Gewinns verzichten und dafür moderatere Strompreise bieten.“

  • Den wissenschaftlichen Hintergrund für Kooperation lieferte der Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe Gregor Fauma in seiner Keynote. „Als soziale Wesen sind wir programmiert auf Kooperation. Der Algorithmus, der uns dabei leitet und der tief in uns verankert ist, lautet ‚Tit for Tat‘ (sinngemäß: Wie du mir, so ich dir, Anm.)“, erklärte der Experte. Nur durch dieses Sozialverhalten in der Gruppe sei es für die Spezies Mensch überhaupt möglich zu überleben, dasselbe könne man auch bei vielen Tierarten beobachten.

  • Case Studies aus der Praxis Dass das alles auch in der genossenschaftlichen Praxis funktioniert, bewiesen beim „Zukunftstag Genossenschaft“ drei Case Studies, die von Jakob Steinschaden, Gründer des digitalen Medienhauses „Trending Topics“, moderiert wurden:

    • Die Fachhändlergemeinschaft SPORT 2000 wurde vor 50 Jahren als Einkaufsgenossenschaft gegründet, sie bietet aber heute auch technische Dienstleistungen und Marketing-Support für die Händler. Als Erfolgsfaktor und Wettbewerbsvorteil gegenüber Konzernen nennt Marketingleiterin Natascha Krawinkler, dass die teilnehmenden Händler auf gemeinsame Leistungen wie etwa eine Online-Plattform für den Skiverleih zurückgreifen können, aber zugleich dennoch unabhängig und selbstständig bleiben.
    • Als „genossenschaftliches Start-up“ bezeichnet sich Smart, eine junge Kooperation von Künstlern, Kreativen und Selbstständigen. „Wir wandeln die in der Kulturbranche üblichen Werkverträge in Anstellungen für unsere Mitglieder um“, bringt Prokuristin Lisa Pointner das Geschäftsmodell auf den Punkt. Das habe sich in der Coronakrise als besonders wertvoll erwiesen: „Dank unseres Modells konnten viele Künstlerinnen und Künstler das Modell der Kurzarbeit nutzen.“ Als weiteren Vorteil betonte Pointner die weitreichenden Mitbestimmungsrechte der Mitglieder, die selbst über Leistungsumfang und Gebührenmodell der Genossenschaft entscheiden könnten.
    • Ein neues Genossenschaftsmodell, das die perfekte Antwort auf eine der größten Herausforderungen unserer Zeit bietet, stellte Energieexperte Roland Kuras vor: Mit Energiegenossenschaften ist es möglich, Unternehmen, Bürger und Gemeinden zu Akteuren der Energiewende zu machen, indem sie gemeinsam erneuerbaren Strom erzeugen, speichern, verbrauchen und auch verkaufen. Kuras ist selbst Gründer einer der ersten Genossenschaften nach diesem Modell: Die WGE Grätzl-Energiegemeinschaft versorgt Unternehmen und Bürger im 23. Wiener Gemeindebezirk mit Strom aus Fotovoltaik.

  • Nida-Rümelin: „Genossenschaft bietet günstige Bedingungen“ Ein Höhepunkt des „Zukunftstags“ war die Keynote von Julian Nida-Rümelin: Der bekannte Philosoph und Buchautor zeichnete das „Modell einer humanen Ökonomie“. Der einseitigen Sichtweise auf Märkte stellte er seine Kernthese gegenüber: „Ökonomische Praxis, die erfolgreich ist, braucht auch Moral.“ Er belegte dies anhand der für wirtschaftlichen Erfolg unabdingbaren Kommunikation, die nur durch Wahrhaftigkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit funktionieren könne. Es brauche also Regeln, die Kooperation ermöglichen. „Das genossenschaftliche Unternehmensmodell stellt dafür besonders günstige Bedingungen bereit“, so Nida-Rümelin.

  • Bespielhaft dafür nannte er das genossenschaftliche Identitätsprinzip, welches Kunden- und Produzenteninteressen in einer Organisation vereine, und das Regionalitätsprinzip, das ein starkes Zugehörigkeitsgefühl erzeuge. Sein Schlusswort: „Genossenschaften können auch in den nächsten 150 Jahren sehr selbstbewusst auftreten. Ihr Angebot lautet: Wir betten das ökonomische Prinzip der punktuellen Optimierung in eine Organisation ein, die Kooperation fördert.“

  • Eine Vorlage, die Clemens Pig, geschäftsführender Vorstand der Austria Presse Agentur und seit Mai dieses Jahres auch Präsident des ÖGV, in seinem Abschlussstatement gerne aufgriff: „Genossenschaften brauchen mehr Selbstbewusstsein, sie sind Gemeinschaftsunternehmen im besten Sinne und fit für die digitale Zukunft. Mit dem ÖGV an ihrer Seite sind sie für die künftigen Herausforderungen bestens gerüstet.“ Abschließend regte er noch eine innovative Neugründung an: Pig, der auch Präsident der Nachrichtenagentur-Allianz EANA ist, tritt für die Gründung einer europäischen Technologiegenossenschaft der freien Nachrichtenagenturen und Medien ein, „als konkrete Formulierung einer Zukunftsvision für kooperatives Wirtschaften in der europäischen Digitalökonomie“ wie er sagt. Fotos: Felicitas Matern