Großes Interview

"Kooperation statt Fake News"

  • Österreichs größter und wichtigster Informationsdienstleister, die Austria Presse Agentur, arbeitet erfolgreich als Genossenschaft – und das seit nunmehr 70 Jahren. Die beiden Geschäftsführer Clemens Pig und Karin Thiller im Gespräch über Kooperation in der Medienwelt, Fake News und die digitale Zukunft.

    „cooperativ“: Die APA ist als Nachrichtenagentur in der Rechtsform der Genossenschaft organisiert. Worin liegen ihre Besonderheiten, was macht die DNA der APA aus?

    Karin Thiller: Die APA-Genossenschaft ist gewissermaßen das Herzstück der österreichischen Medienlandschaft. Sie ist eine Plattform, die verschiedenste Medienhäuser zusammenbringt, um das gemeinsame Interesse in den Vordergrund zu stellen. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erweist sich diese Kooperation als äußerst wichtig.

    Clemens Pig: Eine Besonderheit liegt auch in ihrer traditionsreichen Geschichte: Die APA ist die viertälteste Nachrichtenagentur der Welt! Zudem ist sie unabhängig – in Zeiten, in denen alle über Fake News diskutieren, ist das ein hohes Gut. Und: Die APA ist als Organisation einzigartig, weil sie die gesamte publizistische Vielfalt des Landes in einem einzigen Unternehmen abbildet.

    Welche Bedeutung hat dabei die Rechtsform der Genossenschaft?

    Pig: Die Genossenschaft ermöglicht es besser als andere Rechtsformen, einen inhaltlichen Interessenausgleich herzustellen. Zudem ist sie eine äußerst demokratische Rechtsform. Das Prinzip „Ein Mitglied, eine Stimme“ bedeutet, dass auch die Interessen kleinerer Gesellschafter gut abgebildet werden können. Und ich wage sogar zu behaupten: Die Genossenschaft ist nicht nur zeitgemäß, sie ist auch sehr zukunftsorientiert. In einer Welt, in der die großen digitalen Plattformen dominieren, stellt sie sicher, dass die Wertschöpfung im Land bleibt und nicht abfließt.

    Was hat sich am Förderauftrag der APA seit der Gründung 1946 geändert? Damals war die Rede von „einem unabhängigen Nachrichtendienst für die österreichischen Zeitungen, gleichgültig welcher politischen oder weltanschaulichen Tendenz“.

    Thiller: Im Grunde gar nicht so viel. Der Kernauftrag, die Grundversorgung der österreichischen Medien mit Nachrichten und Informationsdienstleistungen, besteht unverändert. Dieser Auftrag hat sich aber um neue Themenfelder erweitert: Information ist heute eng mit Technologie verbunden, daher fokussieren wir stark in diese Richtung. Das trägt auch maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg für uns und somit für unsere Mitglieder bei.

    Als B2B-Gesellschaft ist die APA vielen Lesern gar nicht so vertraut. Können Sie das Unternehmen anhand einiger Kennzahlen beschreiben?

    Pig: Gerne. Wir hatten im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Umsatz von 75,5 Millionen Euro und beschäftigen knapp 600 Mitarbeiter. Unser täglicher Nachrichten-Output liegt bei etwa 550 Meldungen, wobei die Hälfte davon journalistische Eigenproduktionen der APA-Redaktion sind, der Rest sind für den österreichischen Markt aufbereitete Meldungen unserer 25 internationalen Kooperationspartner. Neben dem Sitz in Wien verfügen wir über Redaktionsbüros in jeder Landeshauptstadt sowie in Brüssel. Dazu kommt ein starkes Standbein in der Schweiz – wir halten 50 Prozent an der Bildagentur Keystone –, in Deutschland betreiben wir gemeinsam mit der Deutschen Presse-Agentur die Geschäftszweige Mobile Publishing und Finanzberichterstattung. Unsere Eigentümerstruktur ist denkbar breit aufgestellt: Bis auf die „Krone“ und „Heute“ sind alle tagesaktuellen Printmedien des Landes sowie der ORF Gesellschafter der APA.

    Konkurrierende Medien, die an einem Tisch sitzen – das klingt nach Konflikt. Wie geht es bei den Mitgliederversammlungen zu?

    Pig: Viel harmonischer, als sich das Außenstehende vorstellen! Es wird sehr sachorientiert gearbeitet. Für alle Gesellschafter steht dabei das Wohl der APA im Mittelpunkt.

    Sie bieten Ihre Dienstleistungen auch Nichtmitgliedern an. Eine Einladung für Trittbrettfahrer?

    Thiller: Keineswegs. Wir beliefern zwar auch Nichtmitglieder, das steht so in den Statuten, aber im Grunde profitieren davon alle. Wir machen 40 Prozent unseres Umsatzes mit klassischen Medien, den Rest mit Institutionen aus Politik und Wirtschaft. Das ist eine gute Mischung, die uns auch weniger krisenanfällig macht, da wir sehr breit aufgestellt sind.

    Pig: Als neutrale Plattform gilt für uns der Gleichbehandlungsgrundsatz. Das bedeutet: Es gilt derselbe Tarif sowohl für Mitglieder als auch für Nichtmitglieder. Aber nur die Mitglieder profitieren auch vom Member Value: Sie erhalten regelmäßige Dividenden und können als Eigentümer die Geschicke der APA mitbestimmen.

    Wie steht das Unternehmen APA wirtschaftlich da?

    Pig: Wir erzielen seit Jahren Gewinne, die wir auch in Zukunft stabil halten wollen. Denn auch wenn bei uns als Genossenschaft der Shareholder Value nicht an erster Stelle steht, sind Gewinne und Dividenden für den Fortbestand der APA doch ganz zentral. Zwar werden die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen insgesamt schwieriger, aber wir steuern gegen, indem wir stark in neue Projekte investieren, in die Produkte der Zukunft. Die Digitalisierung setzt das Mediengeschäft nicht nur unter Druck, es tun sich auch neue Chancen auf.

    Insgesamt steckt die österreichische Medienbranche aber in der Krise. Die Auflagen der gedruckten Zeitungen sinken, zuletzt musste das „Wirtschaftsblatt“ eingestellt werden. Hat die Tageszeitung überhaupt noch Zukunft?

    Pig: Auf jeden Fall! Sie muss sich nur auf das konzentrieren, was sie in der digitalen Welt sein kann: der beste und schnellste Browser der Welt mit anderer inhaltlicher Ausrichtung als die Online-Medien. Und Marktbereinigungen gab es in der Geschichte immer wieder, lange vor der Digitalisierung. Heute geht es einfach darum, die richtigen Inhalte und Formate über die richtigen Kanäle an die User zu bringen.

    Thiller: Die meisten Verlage haben verstanden, dass sie einer Transformation unterliegen, und die richtigen Schlüsse daraus gezogen. Dennoch wird die gedruckte Zeitung noch sehr lange ein geschätztes Medium bleiben, da bin ich mir sicher.

    Auch im Zukunftsbereich Online sieht es nicht rosig aus. Die Nutzerzahlen steigen zwar stetig, aber Paid Content kommt nicht recht vom Fleck. Kann die APA hier helfen?

    Pig: Die APA ist schon von ihrem Grundverständnis her eine Paid Content Company. Wir unterstützen dabei auch unsere Mitglieder – etwa, indem wir neue Bezahlmodelle wie den „Austria-Kiosk“ bereitstellen. Dennoch kann man 25 Jahre Gratiskultur im Internet nicht einfach so wegwischen. Es wird aber bestimmte Arten von Inhalten geben, die man monetarisieren kann. Ich denke da insbesondere auch an Job- oder Immobilienmarktplätze, die ja schon immer im Produkt Zeitung integriert waren und Erlöse beigesteuert haben. Viele Medienunternehmen etablieren entsprechende Online-Portale sehr erfolgreich. Die APA will aber auch Werkezuge für Verlage anbieten, um mit Paid Content zu experimentieren. Mit der im Jänner neu gestarteten „Austria Videoplattform“ ermöglichen wir nicht nur den Austausch von Bewegtbild, sondern auch dessen Finanzierung über Werbeerlöse.

    Stichwort Werbeerlöse: Die fließen großteils zu den Giganten wie Facebook und Google ab. Ein Problem für Sie?

    Pig: Die APA selbst liefert ja nicht an die Endöffentlichkeit, somit auch nicht an Google & Co. Aber für die Verlage sind Urheberrecht und Leistungsschutzrecht natürlich Riesenthemen.

    Thiller: Neben dem wirtschaftlichen Aspekt gibt es auch einen gesellschaftlichen: Es droht die Abwanderung des öffentlichen Diskurses in soziale Medien. Um hier dagegenzuhalten, braucht es kreative Lösungen, auch damit die Wertschöpfung im Land bleibt. Einerseits muss man die großen Player in die Schranken weisen, was international im Gleichschritt erfolgen sollte, andererseits muss jeder das Beste aus dem eigenen Ecosystem herausholen.

    Wie mächtig Informationen und auch Falschinformationen sind, hat man zuletzt rund um die Wahl Donald Trumps deutlich gesehen. Was sollte man gegen Fake News unternehmen?

    Pig: Die Frage des Trusted Content und wie man diesen sicherstellt, ist eines unserer Topthemen für 2017, das wir im Schulterschluss mit den heimischen Medien angehen wollen. Denn Fake News bewegen nicht nur unsere Branche, sondern alle Menschen. Der US-Wahlkampf war sicher die Spitze des Eisbergs, man hat gesehen, was durch Manipulation alles möglich ist. Zugleich bietet sich in dieser Debatte für Verlage aber auch die Chance, die eigene Kernkompetenz aufzuzeigen: Unabhängige und vielfältige Berichterstattung, die zwar je nach Blattlinie unterschiedlich gestaltet ist, aber nie einseitig, ist für den demokratischen Prozess zentral. Auch als APA wollen wir heuer konkrete Lösungen für das Problem der Fake News anbieten, möglicherweise in Form eines Software-Tools zur Bewertung der Glaubwürdigkeit von externen Informationsquellen.

    Thiller: Wir nähern uns der Problematik aus mehreren Richtungen – einerseits durch technische Hilfsmittel, andererseits durch Kooperation in großen Netzwerken.

    Pig: In diesem Zusammenhang denken wir auch eine sogenannte Anti-Troll-Software an, die identifiziert, wenn User in sozialen Medien mit verschiedenen Identitäten oder gar automatisiert posten. Das soll Klarheit und Transparenz herstellen. Denn: Gerüchte und Falschmeldungen am Stammtisch gab es zwar früher auch, neu hinzugekommen sind allerdings die Möglichkeit der Anonymität und die potentiell sehr hohe Reichweite durch die technischen Möglichkeiten.

    Sie heften sich Unabhängigkeit auf ihre Fahnen. Die ist aber üblicherweise schwer zu verteidigen: Wie oft kommt es bei Ihnen zu Interventionsversuchen von Politikern und anderen Interessengruppen?

    Pig: Ganz ehrlich – die gibt es gar nicht. Und wenn es sie gäbe, würden sie bei uns abprallen. Da wir ökonomisch sehr gut aufgestellt sind, kann man uns auch nicht unter Druck setzen. Im Fall des Falles würden wir einen Kunden halt ziehen lassen. Was es natürlich ab und zu gibt, sind Anrufe in der Reaktion mit Hinweisen und Ergänzungen, die unsere Redakteure dann sorgsam prüfen. Es ist ja legitim, seinen Standpunkt zu übermitteln.

    Thiller: Unlängst habe ich mit der Chefredakteurin eines großen Qualitätsmediums über dieses Thema gesprochen. Sie hat uns bescheinigt, dass die APA auch von außen als unabhängig wahrgenommen wird. Diesen Ruf haben wir uns erarbeitet. Es gilt: Wie man sich bettet, so liegt man.

    Information wird auch für Unternehmen wichtiger. Immer mehr Firmen wollen die Kommunikation mit der Öffentlichkeit selbst in die Hand nehmen. Corporate Publishing ist dazu ein Schlagwort. Die APA bietet auch dafür Werkzeuge. Ein Ersatz für Medien und Nachrichten?

    Thiller: Wahr ist, dass gute Information, die aus Unternehmen und somit aus erster Hand kommt, wertvoll ist, obwohl sie natürlich redaktionelle Artikel nicht ersetzen kann. Allerdings sind viele Organisationen nicht in der Lage, sich die Brille des Lesers aufzusetzen. Sie tun sich einfach schwer einzuschätzen, was eine interessante Geschichte ist und was nicht. Dennoch bieten Werkzeuge wie das Originaltext-Service der APA eine tolle Möglichkeit, eine Öffentlichkeit zu erreichen, die sonst nur schwer erreichbar wäre. Letztlich entscheidet aber weiterhin der Journalist bzw. der Leser, ob die Information auch interessant genug ist.

    Was sind die großen Zukunftsthemen für die APA? Der „Austria-Kiosk“, bei dem man bald nicht nur digitale Zeitungen und Magazine, sondern auch Einzelartikel kaufen kann, und die „Austria Videoplattform“ wurden ja schon erwähnt.

    Pig: Ich möchte hier zuallererst unser neu gegründetes Medialab nennen, das sich mit Prototypen für neue Produktwelten beschäftigt. Unser Ziel ist es, Innovationen schneller und treffsicherer zu den Kunden zu bringen. Generell ist es unsere Strategie, die APA zu einer „News-Tech-Agentur“ weiterzuentwickeln. Denn Nachrichten bewegen sich immer mehr im technologischen Kontext. Neben der redaktionellen Kompetenz wollen wir daher auch die technologische ausbauen. Wir analysieren dazu heuer den Bedarf des heimischen Medienmarkes an IT-Lösungen. In der Folge wollen wir Komplettanbieter für mediale Produktion und Vermarktung werden. Denkbar ist dabei etwa auch, dass wir ein eigenes Content Management System für die heimischen Medien entwickeln. All das dient letztlich dem Zweck, unseren Erfolg und damit unsere Unabhängigkeit abzusichern. Denn die gehört einfach zu unserer DNA. Daran hat sich in den letzten 70 Jahren nichts geändert, nur der Weg dorthin ist heute ein anderer. Eine schöne Aufgabe, für die es sich lohnt, täglich alle Kraft und Energie aufzuwenden.

    Thiller: Ja, wir beide sind privilegiert, weil wir uns in einer extrem spannenden und sich wandelnden Branche bewegen und dabei gemeinsam mit den Medienhäusern Innovationen entwickeln können.